Wolfgang Thaler
Preisträger des Jahres 2009
Als Kameramann muss man alles dafür tun, damit die Geschichte, die erzälht werden soll, optisch stimmt. Es geht nicht darum, dass man sich mit Bildern profiliert oder seinen eigenen Stil durchsetzt.
Wolfgang Thaler
Wolfgang Thaler wurde 1958 im österreichischen Möllbrücke (Bundesland Kärnten) geboren. Schon während seiner Schulzeit träumte er davon, einmal im Filmbereich zu arbeiten, schreckte dann aber doch davor zurück, sich bei der Wiener Filmakademie um einen Studienplatz zu bewerben. Stattdessen studierte er Landwirtschaft und arbeitete als Bienenzüchter. Dieser absonderlich erscheinende Umweg zu seinem späteren Beruf hat aber dennoch erhebliche Bedeutung für seine Tätigkeit als Kameramann. Wolfgang Thaler hat hier wohl das genaue, geduldige Beobachten gelernt und auch das Interesse für die Natur und für die Biologie hat er sich bewahrt, wie seine Filme Bienen – Ein Leben für die Königin (1998) und Ameisen – Die heimliche Weltmacht(2005) eindrucksvoll beweisen. In beiden Dokumentationen fungierte Wolfgang Thaler zugleich auch als Regisseur.
Der Traum vom Filmemachen ließ ihn aber während seines Studiums der Agrarwissenschaften nicht los. Wolfgang Thaler schrieb sich bei der Filmakademie als Gasthörer für das Fach “Produktion” ein, um sich schließlich für die Kamera-Klasse zu bewerben. Er reichte eine Mappe mit eigenen Fotografien ein und bestand die Aufnahmeprüfung. Sein Studium finanzierte er, indem er als Koch und als Kameraassistent arbeitete. Seit 1988 ist er als freier Kameramann tätig.
Wolfgang Thaler drehte zunächst Kurzbeiträge für die Nachrichtensendung Österreich Bild. Aufsehen erregte er 1993 mit einer 90 Minutenreportage über Tibet (In the Land of Bod), die über drei Monate Drehzeit erforderte. Dieser schloss sich 1994 seine erste 35-Millimeter-Produktion an, die im Nordpol-Eis und in der arktischen Kälte entstand und ebenso mehrere Monate in Anspruch nahm (Arktis Nordost). Seitdem gilt Wolfgang Thaler als ein Kameramann, der die extremen Herausforderungen nicht scheut und der immer an die Grenzen des Machbaren geht.
1997 verpflichtete ihn Michael Glawogger für die Dokumentation Megacities, die auch international stark beachtet wurde und vor allem auch wegen ihrer expressiven Bildlichkeit viele Preise gewann. Die Kooperation mit Michael Glawogger setzte sich sowohl in Spielfilmen wie auch in Dokumentarfilmen fort: Nacktschnecken (2002), Workingman’s Death (2004) und Contact High.
Ulrich Seidl, der neben Michael Haneke sicher bedeutendste Regisseur des österreichischen Gegenwartskinos, arbeitet seit seinem ersten Spielfilm Hundstage (2001) kontinuierlich mit Wolfgang Thaler zusammen. Mit Filmen wie Jesus, du weißt (2002) und Import/Export (2007) erreichen Ulrich Seidl und Wolfgang Thaler große internationale Resonanz, lösen weltweit Kontroversen und Debatten aus. Bereits Hundstage wurde bei den Filmfestspielen in Venedig mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnet.
Import/Export lief in Cannes im offiziellen Wettbewerbsprogramm. Wolfgang Thaler gehört nach diesen Filmen ganz ohne Frage zur ersten Reihe der europäischen Kameraleute.
Eine enge Kooperation besteht auch mit dem deutschen Dokumentarfilmregisseur Pepe Danquart. Höllentour (2003) und Am Limit (2007) geben ebenso spektakuläre wie intime Einblicke in die Extremsportarten Radfahren und Speed-Klettern.
Aber nicht nur mit etablierten Regisseuren arbeitet Wolfgang Thaler erfolgreich zusammen. Er hat auch der Regie-Anfängerin Andrea Maria Dusl zu einem bemerkenswerten Debüt verholfen: Blue Moon (2002).
Seit dem Wintersemester 2008/09 unterrichtet Wolfgang Thaler zudem als Professor an der Filmakademie Wien Kameraarbeit und Bildgestaltung.
Transatlantic (2023, Miniserie, eine Folge)
Regie: Daniel Hendler & Anna Winger
Böse Spiele- Rimini Sparta (2023)
Regie: Ulrich Seidl
Rimini (2022)
Regie: Ulrich Seidl
Der Onkel (2022)
Regie: Helmut Köpping, Michael Ostrowski
Sparta (2022)
Regie: Ulrich Seidl
Die Unschuldsvermutung (2021, TV Film)
Regie: Michael Sturminger
Risiken & Nebenwirkungen (2021)
Regie: Michael Kreihsl
Unorthodox (2020, TV Mini Serie, 4 Episoden)
– Part 4 (2020) …
– Part 3 (2020) …
– Part 2 (2020) …
– Part 1 (2020) …
Regie: Maria Schrader
Toulouse (2018, TV Film)
Regie: Michael Sturminger
Die Wunderübung (2018)
Regie: Michael Kreihsl
Kebab extra scharf! (2017, TV Film)
Regie: Wolfgang Murnberger
Ugly (2017)
Regie: Juri Rechinsky
Safari (2016, Dokumentarfilm)
Regie: Ulrich Seidl
Hotel Rock´n´Roll (2016)
Regie: Michael Ostrowski, Helmut Köpping
Before Dawn (2016)
Regie: Maria Schrader
Landraub (2016) (Documentary)
Regie: Kurt Langbein
Chucks (2015)
Regie: Sabine Hiebler
Theeb (2014)
Regie: Naji Abu Nowar
Cathedrals of Culture (2014, TV-Serie, 2 Episoden)
– National Library of Russia (2014)
– Halden Prison (2014)
Regie: Karim Aïnouz
Und Äktschn! (2014)
Regie: Frederick Baker
Die Landärztin (2013, TV-Serie, 1 Epsiode)
– Vergissmeinnicht (2013)
Regie: Michael Kreihsl
Paradies: Hoffnung (2013)
Regie: Uleich Seidl
Paradies: Glaube (2012)
Regie: Ulrich Seidl
Paradies: Liebe (2012)
Regie: Ulrich Seidl
Anfang 80 (2011)
Regie: Gerhard Ertl, Sabine Hiebler
Whores‘ Glory (2011, Dokumentarfilm)
Regie: Michael Glawogger
The Forgotten Space (2010)
Regie: Noël Burch
Contact High (2009)
Regie: Michael Glawogger
Willi und die Wunder dieser Welt (2008)
Regie: Arne Sinnwell
Contact High (2008)
Regie: Michael Glawogger
Import/Export (2007)
Regie: Ulrich Seidl, Kamera zusammen mit Ed Lachman
Am Limit (2007)
Regie: Pepe Danquart
Life in the Loops (A Megacities RMX) (2006)
Regie: Timo Novotny
SOKO Kitzbühel (2005, 3 Episoden, TV)
– Blumen für die Diva (Regie: Georg Schiemann, 2005)
– Der Lodenkönig (Regie: Georg Schiemann, 2005)
– Magischer Mord (Regie: Georg Schiemann, 2005)
Die Villen der Frau Hürsch (2005, TV)
Regie: Julian Pölsler
Workingman’s Death (2004)
Regie: Michael Glawogger
Höllentour (2003)
Regie: Pepe Danquart, Kamera zusammen mit Michael Hammon und Filip Zumbrunn
Blue Moon (2002)
Regie: Andrea Maria Dusel
Natur im Garten – Die nackte Wahrheit (2002, TV)
Regie: Barbara Fally-Puskas
Nacktschnecken (2002)
Regie: Michael Glawogger
Jesus du weißt (2002)
Regie: Ulrich Seidl
Primadonnen (2002, TV)
Regie: Pepe Danquart/Andre Heller
Hundstage (2001)
Regie: Ulrich Seidl
Zecken – Vampire hautnah (2000, TV)
Regie: Bert Ehgartner/Kurt Langbein
Olympia 2000 (2000)
Regie: Axel Engstfeld
Automat Kalaschnikov (1999)
Regie: Axel Engstfeld/Herbert Habersack
Spaß ohne Grenzen (1998, TV)
Regie: Ulrich Seidl
Im Bannkreis des Nordens (1998, 2 Episoden, TV)
– Gigant aus Eis und Schnee (1998)
– Labyrinth des Todes (1998)
Regie: Axel Engstfeld
Frankreich wir kommen (1998)
Regie: Michael Glawogger
Geissel Schmerz (1997, TV)
Regie: Rike Fochler
Die Fett-Story (1997, TV)
Regie: Rike Fochler
Megacities (1997)
Regie: Michael Glawogger
Dein Tod mein Leben (1996, TV)
Regie: Kurt Langbein
Aran – Von Viehhändlern und anderen Iren (1996)
Regie: Axel Engstfeld
Herbert Willi – Klavier im Stau (1996, TV)
Regie: Michael Kreisel
USA – Notizen zur Landwirtschaft (1995, TV)
Regie: Axel Engstfeld
Samoa – Der Bauch des Häuptlings (1995, TV)
Regie: Axel Engstfeld
Wunderkinder (1995, TV)
Regie: Kurt Langbein
Mein Papa liebt einen Mann (1995, TV)
Regie: Christian Skalnik
Zwischen Leben und Tod (1994, TV)
Regie: Kurt Langbein
Arktis Nordost (1994, TV)
Regie: Helmut Voitl
In the Land of Bod (1993, TV)
Regie: Herbert Habersack
Blut und Boden (1992)
Regie: Max Linder
An der Grenze (1991)
Regie: Max Linder
2006 Der Goldene Kader 2006 für die Beste Kamera Kinodokumentarfilm 2006 (verliehen vom Verband österreichischer Kameraleute / AAC – Austrian Association of Cinematographers) ging an Wolfgang Thaler für seine Bildsprache in Workingman’s Death
2006 Diagonale 06 – Auszeichnung für Workingman’s Death: Beste Kameraarbeit Dokumentarfilm – Wolfgang Thaler
2005 Merit Award for Macrophotography – Wolfgang Thaler für den Film Ameisen – Die Heimliche Weltmacht
2005 Beste Kamera NaturVision – Wolfgang Thaler für den Film Ameisen – Die Heimliche Weltmacht
1998 Goldene Romy für die beste Kamera/Österreich – Wolfgang Thaler für Bienen – Ein Leben für die Königin
Mit Wolfgang Thaler wird der wohl wichtigste Kameramann des österreichischen Gegenwartskinos ausgezeichnet. Seine herausragende Bildgestaltung hat wesentlich dazu beigetragen, dass aktuelle österreichische Filme in der ganzen Welt große Beachtung erfahren. Dies gilt vor allem für das Genre des Dokumentarfilms, der sich in den letzten Jahren das Kino zurückerobert hat. Die avancierten und erfolgreichen Dokumentarfilme der letzten Jahre kommen beinahe alle aus Österreich: Darwin’s Nightmare (2005; Regie und Kamera: Herbert Sauper), We feed the World (2005; Regie und Kamera: Erwin Wagenhofer) und vor allem Workingman’s Death (2004; Regie: Michael Glawogger), bei dem Wolfgang Thaler für die Kameraarbeit verantwortlich war.
Megacities (1997), ebenfalls von Wolfgang Thaler unter der Regie von Michael Glawogger fotografiert und vielfach mit Preisen ausgezeichnet, bedeutete den entscheidenden Durchbruch für diesen neuen, offenen und essayistischen Dokumentarismus, der ganz auf die Kraft der Bilder vertraut. Mit diesem Film, der Menschen und ihrem oft dramatischen Überleben in den Supermetropolen Bombay, Moskau, Mexiko City und New York nachspürt, der Grausames und Anrührendes entdeckt, hat sich Wolfgang Thaler als ein weltweit agierender Kameramann etabliert. Er ist immer auf der Suche nach neuen, bewegenden Bildern, führt uns an extreme Orte, die ansonsten dem Blick entzogen sind. Er bringt uns Schicksale nahe, von denen wir ohne diese Bilderreisen nie etwas geahnt hätten. Mit seiner Kamera begibt sich Wolfgang Thaler beständig auf Expedition und verlässt dabei die gewohnten Routen. Ob nun an den Steilhängen des Hochgebirges (Am Limit; 2007; Regie: Pepe Danquart), in den Mikrowelten der Bienen und der Ameisen (Bienen – ein Leben für die Königin; 1998; Ameisen – die heimliche Weltmacht; 2005; Regie und Kamera: Wolfgang Thaler) oder in den Fahrerlagern der Tour de France (Höllentour; 2003; Regie: Pepe Danquart) – stets offenbart uns diese Kamera, die kein Risiko scheut, neue Reiche der Sichtbarkeit.
Workingman’s Death zeigt in zugleich grandiosen und erschreckenden Bildern, dass die menschenverzehrende Handarbeit im “postindustriellen Zeitalter” keineswegs verschwunden ist. Sie hat sich nur in die ärmsten Länder und in die verborgenen Regionen verlagert. Wolfgang Thalers Kamera spürt die neue Sklaverei und Ausbeutung schonungslos auf, entdeckt aber auch eine ganz eigene Poesie und erzwingt gerade damit unsere Aufmerksamkeit, unser Nachdenken.
Auf etwas ganz Elementares, auf ein Sehen und Entdecken sind diese oft atemberaubenden Bilder aus. Wir bestaunen die Phantastik und die Schönheit des Realen, werden in diese Bilderwelt suggestiv hineingezogen. Es sind immer bewusst gestaltete Kinobilder. Wolfgang Thaler legt großen Wert auf höchstes kinematographisches Niveau, auf technische Brillanz, auf sorgfältige Lichtsetzung und auf eine reflektierte Komposition. Nicht der Informationscharakter des Bildes ist entscheidend, sondern die ästhetische Qualität, der Reichtum an Differenzierungen und damit an Deutungsmöglichkeiten. Damit geht Wolfgang Thaler auf Distanz zum erklärungssüchtigen Fernsehdokumentarismus und zur Beliebigkeit der Touristenvideos.
Die Formbetonung zeigt sich auf allen Ebenen. Wolfgang Thaler arbeitet mit einer nuancierten Dramaturgie der Farben. Er orientiert sich mit oft streng geometrischen Bildordnungen an der Tradition der klassischen Fotografie der Moderne, macht durch extrem lange Einstellungen Räume und Atmosphäre spürbar. Er versteht es aber auch meisterhaft, die Handkamera fließend und geschmeidig einzusetzen. So artifiziell Wolfgang Thalers Bilder auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, ihnen gelingt es immer wieder, eine besondere Nähe zu den Protagonisten, eine Wärme und Vertrautheit herzustellen.
In der Bildgestaltung von Wolfgang Thaler werden die Grenzen von Dokumentation und Fiktion aufgehoben. Seine Wirklichkeitsbilder stilisiert er kunstvoll, in der Fiktion wiederum erstrebt er eine dokumentarische Unmittelbarkeit. Die provokativen Filme von Ulrich Seidl erhalten nicht zuletzt durch Wolfgang Thalers Bildgestaltung ihre Unverwechselbarkeit.
Hundstage (2001) macht durch konsequente Überstrahlung die Hitze in jener anonymen Wiener Vorstadt fast körperlich spürbar. In Import/Export (2007) erscheint die österreichische Gegenwart in ebenso kalten Bildern wie die tristen Wohnsilos im Osten der Ukraine, aus der die Heldin Olga aufbricht, um im Westen ihr Glück zu machen. Gerade in diesem Film erweist sich Wolfgang Thaler als ein Kameramann, der uns mit seinen schönen und schaurigen Bildern die globalisierte Welt vor Augen führt.