Eduardo Serra
Preisträger des Jahres 2007
Kino bedeutet langes Warten mit seltenen Momenten starker Emotionen. Es ist nicht wie im Theater, wo sich alle auf einmal in einen physischen und emotionalen Moment hineinbegeben. Im Kino muss man zehn Stunden am Tag leistungsfähig sein, und das für zwei oder drei Monate.
Eduardo Serra
Eduardo Martins Serra ist am 2. Oktober 1943 in Lissabon geboren.
Von 1960 bis 1963 studiert er zunächst Ingenieurwissenschaften, ehe er sich ab 1964 an der Pariser Filmhochschule École Louis Lumière zum Kameramann ausbilden lässt. Seine Karriere als Kameramann beginnt der damals 30-jährige Portugiese mit französischer Staatsbürgerschaft als Kameraassistent bei der Komödie L’Héritiervon Philippe Labros. Neben der Arbeit als Kameramann findet Eduardo Serra auch Zeit für die Regiearbeit; so entsteht 1976 sein Regiedebüt Um aniversário. Dennoch entscheidet er sich dafür, seine Konzentration der Kameraarbeit zu widmen, und er arbeitet in den folgenden Jahren für erschiedene Regisseure als Kameraassistent. Unter anderem trifft er während dieser Zeit den Regisseur Patrice Leconte (Die Strandflitzer(1978)), für den er während seiner Karriere immer wieder Filme visualisiert.
Anfang der 1980er Jahre etabliert sich Serra in Frankreich mit Filmen wie Zwei Fische auf dem Trockenen (Marche à l’ombre, 1984) von Michel Blanc zunehmend als Kameramann. Der internationale Durchbruch gelingt ihm 1990 mit Der Mann der Friseuse (Le mari de la coiffeuse) von Patrice Leconte, der ihm ein Jahr später eine Nominierung für den César, den wichtigsten französischen Filmpreis, in der Kategorie Bester Kameramann einbringt. Seine größten Erfolge feiert Eduardo Serra mit Historienfilmen wie Wings of the Dove – Die Flügel der Taube(1997) von Iain Softley. Für diesen Film wird er mit dem British Academy Film Award ausgezeichnet und für den Oscar nominiert.
An diesen Erfolg anschließend gewinnt Serra 2003 den Europäischen Filmpreis für die Kameraarbeit zum Historiendrama Das Mädchen mit den Perlenohrringen (The Girl with the Pearl Earring) von Peter Webber. Für diese Leistung wird er abermals für den Oscar und den BAFTA-Award nominiert. Die farbliche Gestaltung des Films orientiert sich am Stil des niederländischen Malers Jan Vermeer und arbeitete mit kühlen Ocker- und Blautönen wie es für Vermeers Spätwerk charakteristisch ist. Weiterhin zeichnet sich die Arbeitsweise Eduardo Serras durch den Einsatz von natürlichem Licht und seine Verwendung als erzählerisches Element aus. Neben seiner Arbeit im europäischen, vor allem französischen, Kunstkino, ist er inzwischen auch vermehrt in Hollywood tätig, so etwa als Kameramann für M. Night Shyamalans Unbreakable (2000) oder als Bildgestalter für die beiden letzten Harry-Potter-Filme, Harry Potter und die Heiligtümer des Todes(2010/2011, Harry Potter and the Deathly Hallows, David Yates).
Eduardo Serra war von 1996 bis 1998 Präsident der Association Française des directeurs de la photographie Cinématographique, der Vereinigung französischer Kameraleute. Seit 1999 ist er Ehrenmitglied der Associação de Imagem Cinema, der Vereinigung portugiesischer Kameraleute.
Neben seiner Arbeit im Film ist Serra an Fernsehproduktionen und Werbespots beteiligt.
A Promise (2013)
Regie: Patrice Leconte
A Therapy (2012, Short)
Regie: Roman Polanski
Belle du Seigneur (2012)
Regie: Glenio Bonder
Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 2 (2011)
Regie: David Yates
Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1 (2010)
Regie: David Yates
Kommissar Bellamy (2009)
Regie: Claude Chabrol
Unbeugsam (2008/I)
Regie: Edward Zwick
Fados (2007, Dokumentarfilm)
Regie: Carlos Saura
Die zweigeteilte Frau (2007)
Regie: Claude Chabrol
Blood Diamond (2006)
Regie: Edward Zwick
Geheime Staatsaffären (2006)
Regie: Claude Chabrol
Il ne faut jurer… de rien! (2005)
Regie: Eric Civanyan
Beyond the Sea – Musik war sein Leben (2004)
Regie: Kevin Spacey
Die Brautjungfer (2004)
Regie: Claude Chabrol
Intime Fremde (2004)
Regie: Patrice Leconte
Das Mädchen mit dem Perlenohrring (2003)
Regie: Peter Webber
Die Blume des Bösen (2003)
Regie: Claude Chabrol
O Delfim (2002)
Regie: Fernando Lopes
Rue des plaisirs (2002)
Regie: Patrice Leconte
Papillons de nuit (2002)
Regie: John R. Pepper
Unbreakable – Unzerbrechlich (2000)
Regie: M. Night Shyamalan
Die Witwe von Saint-Pierre (2000)
Regie: Patrice Leconte
Tiefe der Sehnsucht (2000)
Regie: Alain Berliner
Die Farbe der Lüge (1999)
Regie: Claude Chabrol
Hinter dem Horizont (1998)
Regie: Vincent Ward
Das Leben ist ein Spiel (1997)
Regie: Claude Chabrol
Die Flügel der Taube (1997)
Regie: Iain Softley
Auf der Suche nach Finbar (1996)
Regie: Sue Clayton
Herzen in Aufruhr (1996)
Regie: Michael Winterbottom
O Judeu (1996)
Regie: Jom Tob Azulay
La Tournee – Bühne frei für drei Halunken (1996)
Regie: Patrice Leconte
Funny Bones – Tödliche Scherze (1995)
Regie: Peter Chelsom
L’amour conjugal (1995)
Regie: Benoît Barbier
Grosse fatigue (1994)
Regie: Michel Blanc
Das Parfüm von Yvonne (1994)
Regie: Patrice Leconte
Artcore oder Der Neger (1993)
Regie: Heinz Peter Schwerfel
Tango Mortale (1993)
Regie: Patrice Leconte
Die Inschrift des Gottes (1993)
Regie: Heinz peter Schwerfel
Amor e Dedinhos de Pé (1992)
Regie:Luís Filipe Rocha
Das Zebra (1992)
Regie: Jean Poiret
Flucht aus dem Eis (1992)
Regie: Vincent Ward
Schattenwelt (1991)
Regie: Patrick Dewolf
2005 Nominierung für Chlotrudis Awards für The Girl with the Pearl Earring (2003)
2004 Oscarnominierung für The Girl with the Pearl Earring(2003)
2004 Nominierung für British Academy Film Award für The Girl with the Pearl Earring (2003)
2004 Europäische Filmpreis für The Girl with the Pearl Earring(2003)
2004 Los Angeles Film Critics Association Awards für The Girl with the Pearl Earring (2003)
2004 Nominierung für Online Film Critics Society Awards für The Girl with the Pearl Earring (2003)
2004 Nominierung für Satellite Awards für The Girl with the Pearl Earring (2003)
2004 Central Ohio Film Critics für The Girl with the Pearl Earring (2003)
2003 Filmfestival Camerimage: Bronzener Frosch, nominiert für den Goldenen Frosch für The Girl with the Pearl Earring (2003)
2003 San Diego Film Critics Society Awards für The Girl with the Pearl Earring (2003)
2003 San Sebastián International Film Festival für The Girl with the Pearl Earring (2003)
1998 Oscarnominierung für Wings of the Dove – Die Flügel der Taube (1997)
1998 British Academy Film Award für Wings of the Dove – Die Flügel der Taube (1997)
1998 Nominierung für British Society of Cinematographers für Wings of the Dove – Die Flügel der Taube (1997)
1996 Filmfestival Camerimage: Silberner Frosch, nominiert für den Goldenen Frosch für Jude (1996)
1993 Nominierung des Australian Film Institute für Map of the Human Heart (1992)
1991 Nominierung für César für Le mari de la coiffeuse (1990)
Mit Eduardo Serra wird einer der herausragenden Lichtkünstler des europäischen Films der Gegenwart ausgezeichnet. Die Arbeit mit dem Licht steht im Zentrum seiner Bildkreationen. Er ist ein intimer Kenner der Lichtinszenierungen, mit denen die europäische Malerei des 16. und des 17. Jahrhunderts den Raum und den menschlichen Körper in ganz neuer Weise ausleuchtete. An diese Entdeckungen des Lichts durch die alten niederländischen Meister, an Maler wie Jan Vermeer, Rembrandt oder Dürer knüpft Serra immer wieder an, ohne in eine starre und ehrfürchtig-akademische „Malerei mit Licht“ zu verfallen. Er erweckt diese Lichtbilder in seinen Filmen zu neuem Leben, indem er Nuancen und Differenzierungen hinzufügt, die sich nie verselbständigen, sondern immer ein höchst sinnliches Ausdruckselement der Geschichte und der Figuren darstellen. Eine bloß pittoreske Tableauhaftigkeit vermeidet Serra durch fließende und geschmeidige Kamerabewegungen, durch sein ausgeprägtes Gespür für den Rhythmus der Bilder. Seine Lichtführung engt die Schauspieler nicht ein, sondern eröffnet ihnen neue, ungeahnte Aktionsräume.
Wie eine Summe seiner Lichtkünste und seiner Jahrzehnte umfassenden Reflexion über das Licht nimmt sich der Film Girl with a Pearl Earring (Das Mädchen mit dem Perlenohrring) aus dem Jahre 2003 aus. Dieser von der Kritik wie auch vom Publikum gefeierte Film unterscheidet genau zwischen drei unterschiedlichen Lichtwelten, mit denen er stilsicher die Alltagsrealität des Malers Jan Vermeer und der Magd Griet charakterisiert, deren eigentliche Rolle aber darin besteht, Modell und Muse des vereinsamten Künstlers zu sein. Girl with a Pearl Earring ist vor allem eine Hommage an den Lichtmaler Vermeer, der das Licht, seine Ausbreitung im Raum, seine allmählichen Übergänge in den Halbschatten und in die Dunkelheit auf das Genaueste studiert hat. Dem Film gelingt es, diese Erkundungen des Lichts präzise und zugleich suggestiv zu zeigen und damit die Eigentlichkeit der Kunst Vermeers erlebbar zu machen.
Eine zweite, ebenso bedeutsame Inspirationsquelle Eduardo Serras sind die Lichtexperimente großer Fotografen. Jedem seiner Filme geht eine ausgedehnte Expedition in das Universum der fotografischen Bilder voraus, in dem er sich auskennt wie kein zweiter Kameramann der Gegenwart. Seine Bildgestaltung ist aber kein selbstgefälliges Spiel mit Bildzitaten und Bildverweisen. Das unumstößliche Grundprinzip seiner Arbeit ist das Bekenntnis zum natürlichen Licht, dessen Logik er stets respektiert, dessen Grenzen er aber durch die Verwendung ungewöhnlicher Lichtquellen erweitert, so dass ganz eigene, phantastische Lichtwelten entstehen – mit Farben und Stimmungen, wie sie bislang im Kino noch nicht zu sehen waren.
Eduardo Serras umfangreiche Filmographie, die bis in das Jahr 1976 zurückreicht, ist sehr vielgestaltig. Er hat in sehr unterschiedlichen Kinematographien gearbeitet und reichhaltige Erfahrungen sammeln können. Er ist einer der wichtigsten Kameraleute des europäischen Autorenfilms, hat besonders intensiv mit dem Regisseur Patrice Leconte zusammengearbeitet und ist seit einigen Jahren der bevorzugte Kameramann von Claude Chabrol. Er hat aber auch in aufwendigen historischen Filmen mitgewirkt, die in England entstanden sind: Jude; Regie: Michael Winterbottom. The Wings of the Dove; Regie: Iain Softley. Er fungierte als Director of Photography in aufwändigen amerikanischen Studioproduktionen wie What Dreams may come (Hinter dem Horizont); Regie: Vincent Ward und Unbreakable (Unzerbrechlich); Regie: M. Night Shyamalan). Bei aller Universalität seiner Bildgestaltung bleibt Eduardo Serra aber stets seinen Lichtkünsten treu, bewahrt sich seinen ausgeprägten Blick für die Nuancen und Brechungen. Seine Bilderwelten ziehen das Publikum immer wieder aufs Neue in den Bann, bedeuten für die Zuschauer eine unvergleichliche Bilderfahrung.