Slawomir Idziak
Preisträger des Jahres 2004
Ich habe kein Vorbild, niemanden der meine Arbeit wirklich beeinflusst. Ich hole mir die Inspiration ausschließlich aus der Literatur, beim Lesen.
Slawomir Idziak
Sławomir Idziak wurde am 25. Januar 1945 in der schlesischen Stadt Kattowitz geboren und wuchs in Polen zur Nachkriegszeit auf. In seiner Familie spielte die Kamera bereits eine wichtige Rolle: Sein Großvater Józef Holas praktizierte am Atelier des Hoffotografen Alfred Pieperhoff in Beyreuth und gründete mehrere Foto-Studios in Polen – u.a. in Kattowitz, wo er sich schließlich niederließ. Idziaks Mutter Halina Holas-Idziakowa führte das Fotostudio in Kattowitz weiter und war als Kunstfotografin tätig, wofür Sie später einige Auszeichnungen und Dekorationen erhielt. Sie zog ihren Sohn allein auf, während sein Vater Leonard Idziak durch seine Untergrundaktivitäten im Gefängnis war. Damit waren Idziaks Kindheit und Jugend bereits von Kameras und Fotografie geprägt.
1963 Begann er sein Studium der Kameraregie an der renommierten Staatlichen Hochschule für Film, Fernsehen und Theater Łódź. Dort studierte er gemeinsam mit vielen später national sowie international anerkannten Kameradirektor_innen wie auch Regisseur_innen und fertigte zahlreiche Studien in Form von experimentellen Kurzfilmen an. Durch das Studium arbeitete Idziak stets eng mit der Regie zusammen: eine komplementäre Zusammenarbeit, die – typisch für das polnische Kino zu jener Zeit – einige seiner wichtigsten späteren Kooperationen auszeichnet. Noch während des Studiums erlangte er einen seiner ersten Aufträge als Kameramann für den zehnminütigen Kinderfilm Wesoła Ludwika (1968), der mit Puppen in Stop-Motion gedreht wurde. Diesen Lebensabschnitt und vor allem seinen Studienort Łódź versteht Idziak als einen „Farbfleck im sonst nur grauen, kommunistischen Polen“.
Gleich nachdem er sein Studium 1969 abschloss, wirkte er bereits als Kameramann bei Filmen und Dokumentationen fürs polnische Fernsehen mit und übernahm die Rolle der Kameraassistenz bei einigen Spielfilmen. Die 1970er Jahre markieren dabei den Beginn des vielseitigen Oeuvres von Idziak: Bereits 1971 debütierte er als Kameramann bei seinem ersten Spielfilm Jeszcze słychać śpiew I rżenie koni mit Mieczysław Waśkowski in der Regie. 1978 debütierte Idziak selbst als Spielfilmregisseur mit seinem Film Nauka latania (Absprung) – eine Rolle am Set, die er nur selten bekleidete. Zumindest beim Spielfilm: Noch während seines Studiums saß Idziak nämlich einige Male im Regiestuhl und an Drehbüchern zu Kurz- und Fernsehfilmen sowie Dokumentationen und führte dies im Laufe seiner Karriere auch weiter fort.
In den 1970er Jahren nahm schließlich die prägende Zusammenarbeit mit Krzysztof Kieślowski und Krzysztof Zanussi ihren Beginn, die einen beachtlichen Anteil von Idziaks Filmografie ausmacht: Der Fernsehfilm Przejściu podziemnym aus dem Jahre 1973 ist Idziaks erste Zusammenarbeit mit Kieślowski und auch beim Kinodebut des namhaften Regisseurs trat Idziak für Blizna (Die Narbe, 1976) hinter die Kamera. Mit Krótki film o zabijaniu (Ein kurzer Film über das Töten)– der Kinofassung des Fernsehfilms Dekalog 5 (1988) – gelang den beiden 1988 ein Durchbruch, der internationale Wellen schlug. Ihre langjährige Zusammenarbeit mündete in den ebenfalls international Aufmerksamkeit erregenden Dramen La double vie de Véronique (Die zwei Leben der Veronika, 1991) und Trois couleurs: Bleu (Drei Farben: Blau, 1994). Für letzteren erhielt er 1993 eine Auszeichnung für die beste Kamera bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig und 1994 einen César beim französischen Prix Lumières. Mit Kieślowski drehte Idziak seine vermutlich experimentellsten und zugleich gewagtesten Kinofilme, die einen wichtigen Platz in seinem Oeuvre haben.
Ein anderer bedeutsamer Drehpartner in Idziaks Karriere ist der Regisseur Krzysztof Zanussi. Bereits ihr erster gemeinsamer Spielfilm, Bilans kwartalny (Zwischenbilanz) aus dem Jahr 1975, fand Anklang im europäischen Kino. Über Jahre begleitete Idziak die meisten Filme von Zanussi hinter der Kamera bis in die 90er Jahre. Besonders positiv wurden Ihre Dramen Constans (Ein Mann bleibt sich treu, 1980), und Rok spokojnego słońca (Ein Jahr der ruhenden Sonne, 1984) von Kritiker_innen aufgenommen. Diese langjährige Zusammenarbeit schärfte Idziaks Blick für das Analytische durch Zanussis Ansatz, das eigene intuitive Gespür stets weiter zu untersuchen.
Insgesamt hatte Idziak an der Seite von Kieślowski, Zanussi wie auch Andrzey Wajda eine prägende Rolle für das Kino im Nachkriegspolen der 1970er bis in die frühen 1990er Jahre. Er verstand das damalige Kino als „Fenster zur Welt, […] als eine Möglichkeit hinter den Eisernen Vorhang zu reisen“ – ganz ähnlich zu Idziaks Arbeitsweise im damaligen Polen: Aufgrund geringer finanzieller Mittel und Filmausrüstung, die selten reibungslos funktionierte, fanden stets Improvisation, Experimentierfreude und Diskussionen Einzug in die Dreharbeiten. Eines der bedeutsamsten Resultate dieser Arbeitsweise sind die von Idziak zunächst improvisierten und später entworfenen Farbfilter für Kieślowskis Krótki film o zabijaniu (Ein kurzer Film über das Töten). Diese Bildgestaltung sorgte für großes Aufsehen und viel Lob bei internationalen Kritiker_innen.
Während Idziak in den 1970ern überwiegend für das polnische Kino und Fernsehen Filme drehte, widmete er sich in den 1980er und 1990er Jahren zunehmend westeuropäischen Produktionen und verließ des Öfteren die recht konsistente Genrewahl seiner früheren Spielfilme, die überwiegend aus psychologischen und gesellschaftskritischen Dramen bestanden. In den 1990ern – nach seinen internationalen Erfolgen mit Kieślowski – galt das umso mehr und er übernahm die Kamera in vielen westeuropäischen und internationalen Filmproduktionen. Hierzulande arbeitete er etwa mit Hark Bohm (Yasemin, 1988) und später mit Detlev Buck (Männerpension, 1996) zusammen. Ende der 1990er Jahre erweiterte er seine Erfahrungen aus dem ost- und westeuropäischen Kino mit zahlreichen Aufträgen aus Hollywood: Bei seinem Sprung ins US-amerikanische Filmgeschehen wirkte er direkt bei großen Filmen mit, wie Gattaca (1997), Proof of Life (2000) und Ridley Scotts Black Hawk Down (2001), für den Idziak eine Oscar-Nominierung für die beste Kamera erhielt.
Anfang der 2000er Jahre verzeichnete Idziak mit diesen Filmen eine Art Höhepunkt seiner Filmkarriere als Kameramann. Wenig später zog er sich aus der Filmproduktion etwas zurück. Zwar folgten noch einige große Filme wie King Arthur (2004) und Harry Potter and the Order of the Phoenix (Harry Potter und der Orden des Phönix, 2007), allerdings drehte er nun weitaus weniger Filme. Stattdessen widmet sich Idziak seit 2003 überwiegend seinem Lehrprojekt: Neben seiner Rolle als Dozent an europäischen Filmhochschulen – die er seit den 1980ern immer weiter ausbauen konnte – rief er mit dem „Film Spring Open Workshop“ sein eigenes Projekt ins Leben: Zunächst als reiner Onlineworkshop gestartet, stellt das Projekt mittlerweile einen experimentellen Raum für Filmschaffende dar. Im Fokus liegt die gemeinsame Weiterentwicklung von Produktionsweisen, Technologien und die enge Zusammenarbeit der Filmschaffenden. Hierfür gewinnt Idziak immer wieder renommierte Gäste aus der Filmwelt, die den Workshop begleiten – am prominentesten ist Dauergast Natalie Portman, die u.a. mehrere Vorlesungen vor Ort hielt. Zuletzt trat Idziak bei ihrem Regie-Debut in Sipur al ahava ve choshech (Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, 2015) hinter die Kamera.
Eine Geschichte von Liebe und Finsternis (2015)
Regie: Natalie Portman
Die Vermessung der Welt (2012)
Regie: Detlev Buck
Bitwa Warszawska (2011)
Regie: Jerzy Hoffman
Harry Potter und der Orden des Phönix (2007)
Regie: David Yates
King Arthur (2004)
Regie: Antoine Fuqua
Black Hawk Down (2001)
Regie: Ridley Scott
Lebenszeichen – Proof of Life (2000)
Regie: Taylor Hackford
LiebesLuder (2000)
Regie: Detlev Buck
Paranoid – 48 Stunden in seiner Gewalt (2000/I)
Regie: John Duigan
Love & Rage (2000)
Regie: Cathal Black
The Last September (1999)
Regie: Deborah Warner
I Want You (1998/I)
Regie: Michael Winterbottom
Gattaca (1997)
Regie: Andrew Niccol
Men with Guns (1997/II)
Regie: John Sayles
Commandments (1997)
Regie: Daniel Taplitz
Lilian’s Story (1996)
Regie: Jerzy Domaradzki
Männerpension (1996)
Regie: Detlev Buck
Tränen aus Stein (1995)
Regie: Hilmar Oddson
Weg der Träume (1995)
Regie: John Duigan
Weltmeister (1994)
Regie: Zoran Solomun
Traumstreuner (1994)
Regie: Erwin Michelberger
Drei Farben – Blau (1993)
Regie: Krzysztof Kieslowski
Das lange Gespräch mit dem Vogel (1992, TV Film)
Regie: Krzysztof Zanussi
Die zwei Leben der Veronika (1991)
Regie: Krzysztof Kieslowski
Napoléon et l’Europe (1991, TV Serie)
Regie: Janusz Majewski
Dekalog (1990, TV Mini Serie)– Dekalog, piec (1990)
Regie: Krzysztof Kieslowski
Kommissarin Goedeke (1990, TV Serie)– Angst aus der Retorte (1990)– Einstand bei Rotlicht (1990)
Regie: Bettina Woernle
Stan posiadania (1989)
Regie: Krzysztof Zanussi
Wherever You Are… (1988)
Regie: Krzysztof Zanussi
Krótki film o zabijaniu (1988)
Regie: Krzysztof Kieslowski
Yasemin (1988)
Regie: Hark Bohm
Wygasle czasy (1987, Dokumentarfilm)
Regie: Krzysztof Zanussi
Harmagedon (1986)
Regie: Juha Rosma
Sarah (1986)
Regie: Reginald Puhl
Paradigma (1985)
Regie: Krzysztof Zanussi
Wie ein freier Vogel (1985, Dokumentarfilm)
Regie: Hark Bohm
Blaubart (1984, TV Film)
Regie: Krzysztof Zanussi
Rok spokojnego slonca (1984)
Regie: Krzysztof Zanussi
Der Fall Bachmeier – Keine Zeit für Tränen (1984)
Regie: Hark Bohm
Jagger und Spaghetti (1984)
Regie: Karsten Wichniarz
Imperativ (1982)
Regie: Krzysztof Zanussi
Die Unerreichbare (1982, TV Film)
Regie: Krzysztof Zanussi, Edward Zebrowski
Versuchung (1982), TV Film)
Regie: Krzysztof Zanussi
From a Far Country (1981)
Regie: Krzysztof Zanussi
Kontrakt (1980, TV Film)
Regie: Krzysztof Zanussi
Constans (1980)
Regie: Krzysztof Zanussi
Dyrygent (1980)
Regie: Andrzej Wajda
Nauka latania (1978)
Regie: Slawomir Idziak
Powrót (1977, TV Film)
Regie: Filip Bajon
Krótka podróz (1977, TV Film)
Regie: Krzysztof Rogulski
Blizna (1976)
Regie: Krzysztof Kieslowski
Partita na instrument drewniany (1976)
Regie: Janusz Zaorski
Klaps (1976, Short)
Regie: Krzysztof Kieslowski
Bilans kwartalny (1975)
Regie: Krzysztof Zanussi
Przejscie podziemne (1974, Short)
Regie: Krzysztof Kieslowski
Odejscia, powroty (1973, TV Miniserie)
Regie: Wojciech Marczewski
Pizama (1971, Short)
Regie: Antoni Krauze
Meta (1971, TV Film)
Regie: Antoni Krauze
Jeszcze slychac spiew i rzenie koni (1971)
Regie: Mieczyslaw Waskowski
Góry o zmierzchu (1970, Short)
Regie: Krzysztof Zanussi
Zbrodniarz, który ukradl zbrodnie (1969)
Regie: Janusz Majewski
Podrózni jak inni (1969, Short)
Regie: Wojciech Marczewski
Zawal serca (1967, Short)
Regie: Wojciech Wiszniewski
2015 Deutscher Kamerapreis für das Lebenswerk
2013 Camerimage Award für das Lebenswerk
2004 Marburger Kamerapreis
2002 Nominiert für Academy Award Best Cinematography für Black Hawk Down (2001)
2002 Nominiert für BAFTA Award Best Cinematography für Black Hawk Down (2001)
2002 Nominiert für AFI Award Cinematographer of the Year für Black Hawk Down (2001)
1994 Nominiert für César Best Cinematography für Drei Farben: Blau(1992)
1993 Venice Film Festival Kamerapreis für Drei Farben: Blau (1992)
Mit Slawomir Idziak wird ein Kameramann ausgezeichnet, dessen Arbeit mit Fug und Recht als „universell“ bezeichnet werden kann. Idziak wurde 1945 in Kattowitz geboren, ist durch die berühmte Filmschule von Lodz und durch die dort praktizierte ganzheitliche Arbeitsweise entscheidend geprägt worden, durch den engen Zusammenhang von Regie und Kamera, von Technik und Ästhetik, von Bild und Erzählung, von Dokumentarischem und Inszeniertem. Ende der 1960er Jahre begann er als Kameramann beim polnischen Fernsehen und rasch arbeitete er mit den wichtigsten Regisseuren des polnischen Kinos zusammen, mit Krzysztof Zanussi, Andrzey Wajda und vor allem mit Krzysztof Kieslowski. Idziak war der Kameramann bei Kieslowskis Kinodebüt (Die Narbe, 1976) und hat durch seine experimentelle Bildgestaltung in der Aufsehen erregenden Kinoversion von Dekalog 5: Ein kurzer Film über das Töten (1988) wesentlich zum internationalen Durchbruch dieses Regisseurs beigetragen. Hier erprobte Idziak zum ersten Mal seine ausgefeilte Kunst der Farbgebung, der Verschiebung und der Variation von Farbwerten. Idziak setzte über 600 handkolorierte Filter ein und erreichte eine bis dahin noch nie gesehene Verdichtung, Vertiefung und Überhöhung des filmischen Bildes. Doch schon vor diesem Welterfolg war Idziak ein international beachteter Kameramann, arbeitete nach 1980 in Deutschland (vor allem mit dem Regisseur Hark Bohm, in den neunziger Jahren dann mit Detlev Buck) und in Frankreich. In die letzten, im Westen entstandenen eindrucksvollen Filme von Kieslowski (Das doppelte Leben der Veronika; Drei Farben: Blau) konnte Idziak somit reiche Erfahrungen einbringen und die ebenso elegante wie eindringliche Bildpoesie dieser Filme entscheidend mitformulieren. Am Ende der 1990er Jahre gelang ihm schließlich mit Gattaca (1997) und Proof of Life (2000) der Sprung nach Hollywood. Für seine Kameraarbeit in dem Kriegsfilm Black Hawk Down (2001) unter der Regie von Ridley Scott wurde er für den Oscar nominiert.
Mit Slawomir Idziak würdigt der Marburger Kamerapreis einen Weltkameramann, der ein umfangreiches Oeuvre vorzuweisen hat, dessen Arbeit einen Höhepunkt erreicht hat und von dem aber noch viel zu erwarten ist. Die Verleihung lenkt zugleich den Blick auf Osteuropa, auf den Ursprung von Idziaks Kamerakunst, auf den bedeutenden Beitrag des polnischen Films für das europäische Kunstkino. Gerade in Zeiten der EU-Erweiterung ist dies eine produktive und höchst aktuelle Perspektive. Slawomir Idziak, der Virtuose der Farbgebung und der Filter, der selbstbewusst in die Bilder eingreift und sie verwandelt, der an die poetische Kraft der Bilder glaubt, dessen Kamera eine verblüffende, oft aber auch schockierende Nähe zu den Dingen sucht und so ihre Mikrodramatik enthüllt, der sich von seiner starken Musikalität und seinem ausgeprägten Rhythmusgefühl leiten lässt, streitet seit langem leidenschaftlich für eine stärkere Beachtung der bildgestaltenden Arbeit des Kameramanns.
In einem Interview hat er erklärt:
„Als Kameramann steht man im Hintergrund. Man ist ein Künstler der zweiten Reihe. Es ist, wie immer, das große Ego-Problem der Regisseure. Beim Drehen erzählen sie dir: Wir, wir, wir. Aber sobald fertig gedreht ist, ändert sich das in: Ich, ich, ich. Aber ich hab‘ mich daran gewöhnt. Das ist das System, in dem wir arbeiten. In dem Moment, in dem ich mich entschied, Kameramann zu werden, war mir klar, dass ich jemand sein werde, der anderen Menschen dient, ihre Träume zu verwirklichen. Und darüber bin ich wirklich glücklich.“