Robby Müller
Preisträger des Jahres 2003
Als ich anfing, habe ich sehr oft Vermeer und Rembrandt angeschaut; hauptsächlich Rembrandt. Ich habe auch sehr oft vor den Schaukästen der Kinos gestanden und so lange die Standfotos studiert, bis ich begriffen hatte, wie die Kameraleute das Licht gemacht hatten.
Robby Müller
Mit Robby Müller wird im Jahr 2003 ein Kameramann mit dem Marburger Kamerapreis geehrt, dessen Bildsprache in besonderer Weise mit der Avantgarde des Kinos der letzten Jahrzehnte verbunden ist. Müller galt als „Meister des Lichts“, weil er vor allem mit natürlichem Licht arbeitete, das er eindrucksvoll in sein Konzept einer minimalistische Bildsprache einbinden konnte.
Robby Müller wurde am 4. April 1940 in Willemstad auf der Karibikinsel Coracao geboren, die zu den Niederländischen Antillen zählt. Er zog 1953 nach Amsterdam und studierte von 1962 bis 1964 an der Niederländischen Filmakademie.
Zu Beginn seiner Karriere arbeitete er als Kameramann an einer Reihe von Kurzfilmen und wurde durch seine Zusammenarbeit mit Wim Wenders bei Filmen wie “Die Angst des Tormanns beim Elfmeter” (1972) und “Alice in den Städten” (1974) bekannt. Einer seiner bekanntesten Filme war „Paris, Texas“ (1984). Mit Wenders hatte Müller insgesamt 14 Filme gemacht, darunter auch „Im Lauf der Zeit“ (1976) und „Der amerikanische Freund“ (1977). Es folgten Kollaborationen mit den Regisseuren Jim Jarmusch, Peter Bogdanovich, Barbet Schroeder und Lars von Trier. Müller drehte mit Jarmusch unter anderem „Down by Law“ (1986) und „Dead Man“ (1995) und mit von Trier „Breaking the Waves“ (1996) und „Dancer in the Dark“ (2000). Viele der Filme, an denen Müller mitgewirkt hatte, waren international ausgezeichnet worden. Auch Müller selbst wurde mit mehreren deutschen Filmpreisen geehrt, mit dem Preis für sein Lebenswerk auf dem Camerimage Festival 2006 und mit der Auszeichnung der American Society of Cinematographers in den USA. Nachdem er mehrere Jahre lang an vaskulärer Demenz gelitten hatte, starb Robby Müller am 3. Juli 2018 im Alter von 78 Jahren in seinem Wohnort Amsterdam.
2017 widmete das Berliner Museum für Film und Fernsehen der Niederländer eine grosse Werkschaut. Am 4. September 2018 feierte der Film “Living the Light – Robby Müller” bei den Filmfestspielen von Venedig Premiere. Dieser Dokumentarfilm von Claire Pijman ist ein visueller Essay über das Leben und die Arbeit von Robby Müller. Am 4. Oktober 2019 wurde der Dokumentarfilm auf dem Niederländischen Filmfestival mit dem Goldenen Kalb für den besten langen Dokumentarfilm ausgezeichnet.
Living the Light – Robby Müller (2018, Dokumentarfilm)
Regie: Claire Pijman
Ashes (2014, Short)
Regie: Steve McQueen
Nach grauen Tagen (2004, Short)
Regie: Ralf Schmerberg
Europäische Visionen (2004, Segment „Prologue“)
Regie: Béla Tarr
Coffee and Cigarettes (2003, Segment „Twins“)
Regie: Jim Jarmusch
Poem – Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug (2003, Segmente „Gesang der Geister über den Wassern“, „Nach grauen Tagen“ and „Der Schiffüchige“)
Regie: Ralf Schmerberg
24 Hour Party People (2002)
Regie: Michael Winterbottom
My Brother Tom (2001)
Regie: Dom Rotheroe
Dancer in the Dark (2000)
Regie: Lars von Trier
Ghost Dog – Der Weg des Samurai (1999)
Regie: Jim Jarmusch
Shattered Image (1998)
Regie: Raúl Ruiz
Tango-Fieber (1997)
Regie: Sally Potter
Breaking the Waves (1996)
Regie: Lars von Trier
Jenseits der Wolken (1995, Wenders Segment)
Regie: Wim Wenders
Dead Man (1995)
Regie: Jim Jarmusch
Hoogste tijd (1995)
Regie: Fans Weisz
Wenn Schweine fliegen (1993)
Regie: Sara Driver
Sein Name ist Mad Dog (1993)
Regie: John McNaughton
Bis ans Ende der Welt (1991)
Regie: Wim Wenders
Korczak (1990)
Regie: Andrzej Wajda
Red Hot and Blue (1990, TV)
Regie: Percy Adlon, David Byrne, Alex Cox
Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten (1989)
Regie: Wim Wenders
Mystery Train (1989)
Regie: Jim Jarmusch
Coffee and Cigarettes II (1989)
Regie: Jim Jarmusch
Il piccolo diavolo (1988)
Regie: Roberto Benigni
The Believers (1987)
Regie: John Schlesinger
Barfly (1987)
Regie: Barbet Schroeder
Down by Law (1986)
Regie: Jim Jarmusch
The Longshot (1986)
Regie: Paul Bartel
To Live and Die in L.A. (1985)
Regie: William Friedkin
Finnegan Begin Again (1985, TV)
Regie: Joan Micklin Silver
Body Rock (1984)
Regie: Marcelo Epstein
Paris, Texas (1984)
Regie: Wim Wenders
Repo Man (1984)
Regie: Alex Cox
Tricheurs (1984)
Regie: Barbet Schroeder
Klassen Feind (1983)
Regie: Peter Stein
Un dimanche de flic (1983)
Regie: Michel Vianey
Les îles (1983)
Regie: Iradj Azimi
Een zwoele zomeravond (1982)
Regie: Shireen Strooker, Frans Weisz
They All Laughed (1981)
Regie: Peter Bogdanovich
Honeysuckle Rose (1980)
Regie: Jerry Schatzberg
Saint Jack (1979)
Regie: Peter Bogdanovich
Opname (1979)
Regie: Marja Kok, Erik van Zuylen
Mysteries (1978)
Regie: Paul de Lussanet
Die linkshändige Frau (1978)
Regie: Peter Handke
Die gläserne Zelle (1978)
Regie: Hans W. Geissendörfer
Der amerikanische Freund (1977)
Regie: Wim Wenders
Die Wildente (1976)
Regie: Hans W. Geissendörfer
Im Lauf der Zeit (1976)
Regie: Wim Wenders
Es herrscht Ruhe im Land (1976)
Regie: Peter Lilienthal
Das Double (1975, TV)
Regie: Christa Maar
Falsche Bewegung (1975)
Regie: Wim Wenders
Ein bißchen Liebe (1974)
Regie: Veith von Fürstenberg
Alice in den Städten (1974)
Regie: Wim Wenders
Die Eltern (1974, TV)
Regie: Hans W. Geissendörfer
Perahim – die zweite Chance (1974)
Regie: Hans W. Geissendörfer
Die Reise nach Wien (1973)
Regie: Edgar Reitz
Der scharlachrote Buchstabe (1973)
Regie: Wim Wenders
Marie (1972, TV)
Regie: Hans W. Geissendörfer
Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1972)
Regie: Wim Wenders
Overload (1972)
Regie: Melvin Clay
Can (1972)
Regie: Peter Przygodda
Carlos (1971, TV)
Regie: Hans W. Geissendörfer
Eine Rose für Jane (1970, TV)
Regie: Hans W. Geissendörfer
Der Fall Lena Christ (1970, TV)
Regie: Hans W. Geissendörfer
Pakbo (1970, TV)
Regie: Volker Koch
Jonathan (1970)
Regie: Hans W. Geissendörfer
Summer in the City (1970)
Regie: Wim Wnders
Alabama: 2000 Light Years from Home (1969)
Regie: Wim Wenders
Toets (1968)
Regie: Tim Tholen
2016 Manaki Brothers Film Festival Golden Camera für das Lebenswerk
2013 International Achievement Award der American Society of Cinematographers für das Lebenswerk
2009 Bert Haanstra Oeuvreprijs für das Lebenswerk
2007 Goldenes Kalb: Kulturpreis
2006 Camerimage Award für das Lebenswerk
2005 Deutscher Kamerapreis: Auszeichnung als Ehrenkameramann
2003 Marburger Kamerapreis
1998 Camerimage Special Award Best Independent Duo (mit Jim Jarmusch)
1997 National Society of Film Critics Awards NSFC Award (Best Cinematography) für Breaking the Waves (1996) und Dead Man(1995)
1996 New York Film Critics Circle Best Cinematographer für Breaking the Waves (1996)
1991 Filmband in Gold für die Kameraführung bei Korczak (1990)
1985 Bayerischer Filmpreis (Kamerapreis) für Paris, Texas (1984)
1984 Goldene Kamera für die Kameraführung bei Paris, Texas (1984)
1983 Filmband in Gold für die Kameraführung bei Klassen Feind(1983)
1975 Filmband in Gold für die Kameraführung bei Falsche Bewegung(1974)
Mit dem Marburger Kamerapreis für Robby Müller ehren wir einen Kameramann, dessen Bildsprache in besonderer Weise mit der Avantgarde des zeitgenössischen Films verbunden ist. Während er in seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Wim Wenders, von den Neuentwicklungen des italienischen und französischen Kinos beeinflusst, ein bedeutendes Kapitel des jungen deutschen Films schrieb, entwickelte er zwei Eigenschaften, die sein Werk in besonderer Weise auszeichnen: die Neugierde auf das, was jenseits der Professionalität des Berufes in der Sprache des Kinos zu entdecken ist, und das Vertrauen in die gemeinsam getragene Arbeit an einem Film als ideeller Kraft für die Utopie eines Einzelnen, eines Regisseurs. Ein Ziel zu setzen und die Verantwortung dafür zu teilen, ohne in die Maxime der Perfektion zu verfallen, sich dem Oberflächenglanz der Bilder zu beugen oder „die eigene Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen – und damit die Geschichte mit schönen Bildern zu zerstören“ (zitiert nach: Ettedgui, Peter: Filmkünste Kamera, Reinbek 2000, S.103 ff.) sind essentielle Momente seiner Kameraarbeit. Jenseits aller akademischen Fragestellungen zur Cadrage entwickelte er in Down by Law (1986) für Jim Jarmusch Bildkompositionen von bestechender Konsequenz, in Barfly (Barbet Schroeder, 1987) ein kompromissloses Licht abseits aller klassischen Lichtführung und in Breaking the Waves (1996) für Lars von Trier Visionen einer nach den Ursprüngen des Bildes greifenden Kameraführung – alles Arbeiten, die experimentellen Filmideen zum Durchbruch verhalfen und zukünftige Filme in ihrer visuellen Kraft bestimmen werden. Die besondere Qualität seiner Arbeit liegt jedoch darin, der Statik des auskomponierten Bildes die Unbeirrbarkeit des naiven Blicks entgegenzusetzen, den Schönheitswillen der Fotografie durch den schwierigen Weg zur Einfachheit zu überwinden und die Fremdheit des Blicks zu dessen erster Aufgabe in der Annäherung an das fotografierte Objekt zu machen. Vom Stilprinzip befreit ereignen sich so für den Betrachter Momente tiefer, in der Unmittelbarkeit seiner Fotografie begründeter Berührtheit.
Neue technologische Entwicklungen bei Licht und Kamera sind für Robby Müller ein wichtiger Rückhalt bei der Erforschung neuer Wege in der Bildgestaltung, aber umgekehrt verlangt er den neu definierten Möglichkeiten der digitalen Kamera (Dancer in the Dark, 2000; My brother Tom, 2001) unnachgiebig die künstlerischen Qualitäten ab, die sie für die Ästhetik des projizierten Bildes erst verwendbar macht – auch dies ein wichtiger Teil seiner Bedeutung für die gegenwärtige Filmfotografie. Er selber beschreibt sie als ein aufgeklärtes Konzept der Kamera: „Wenn ich mich für einen Film entscheide, sind meine Gefühle das Wichtigste. Ich versuche, mit Regisseuren zu arbeiten, die ihr Publikum berühren wollen und die Menschen noch über den Film diskutieren lassen, wenn sie das Kino längst verlassen haben. …Ich ziehe es vor, dem Zuschauer die Freiheit zu lassen, selbst etwas zu entdecken, statt ihn mit den Augen darauf zu stoßen“ (zitiert nach: Ettedgui, Peter: Filmkünste Kamera, S.103 ff.).