Marburger Kamerapreis
2024: Sturla Brandth Grøvlen

2024: Sturla Brandth Grøvlen

Sturla Brandth Grøvlen

Preisträger des Jahres 2024

© Aslak Lytthans

I think when you make these kind of barriers for yourself and they become challenges and you think more creatively within that kind of box that you drew out for yourself that was part of our strategy to make something interesting in that way. And I think being a real-time witness to the film adds to the excitement of the film.

Berlinale Nighttalk mit Sturla Brandth Grøvlen über seinen Film ‘‘Vicoria’’, radioeins 2015

Sturla Brandth Grøvlen wird im März 1980 im norwegischen Trondheim geboren und wächst im Stadtteil Kattem auf, bevor es den angehenden Kameramann und Bildgestalter nach Lillehammer zieht. In der Kleinstadt im Süden Norwegens widmet sich Grøvlen von 2000 bis 2001 seinem Studium der Filmgeschichte und -theorie am Lillehammer University College.

Im Anschluss geht Grøvlen nach Dänemark, um in Ebeltoft am European Film College zu studieren. Dort nimmt er an einer Vielzahl von Projekten teil, in denen Grøvlen nach eigener Aussage Experimente mit Tongestaltung und Kinematographie durchführen kann und wichtige künstlerische Erfahrungen sammelt. Nach zwei Jahren kehrt der gebürtige Norweger vorzeitig in sein Heimatland zurück und beginnt 2003 ein Studium der Fotografie. An der Bergen Academy of Art and Design erhält Grøvlen 2006 den Bachelor of Fine Arts.

Dennoch reizt es den mittlerweile 27-Jährigen, sich weiter seiner Ausbildung als Kameramann zu widmen. Dafür siedelt der Trondheimer erneut nach Dänemark um, dieses Mal nach Kopenhagen, wo Grøvlen bis heute lebt. In der Landeshauptstadt studiert er von 2007 bis 2011 Film an der National Film School of Denmark. Während dieser Zeit dreht er als Kameramann erste Kurzfilme und Dokumentationen. 

Nach einer Vielzahl an Kurzfilmen, Dokumentation und Musikvideos wie Go Robot (2016) der Red Hot Chili Peppers wird Grøvlen von Anders Morgenthaler als Kameramann für dessen Spielfilm I am Here / The 11th Hour (Um jeden Preis, 2014) engagiert. Die Hauptrollen übernehmen Kim Basinger und Sebastian Schipper, der von Grøvlens Arbeit so beeindruckt ist, dass er ihn für seinen Film Victoria (2015) engagiert. Mit dem 140-minütigen Genremix aus Thriller und Liebesfilm gelingt Grøvlen der Durchbruch. Der Film wird ohne Schnitt in einer einzigen Kameraeinstellung gedreht – eine Aufgabe, für deren außerordentliche Ausführung Grøvlen unter anderem auf der Berlinale den Silbernen Bären erhält.

Vor allem durch Victoria, aber auch das im selben Jahr erscheinende Drama Hrútar (Sture Böcke, 2015, R: Grímur Hákonarson) um zwei zerstrittene Brüder auf Island, zieht Sturla Brandth Grøvlen das Interesse vieler Filmschaffenden auf sich. So übernimmt er innerhalb weniger Jahre bei einer Vielzahl an Projekten die Bildgestaltung, darunter der mit dem Academy Award als beste internationale Produktion ausgezeichnete Druk (Der Rausch, 2020) von Thomas Vinterberg. De uskyldige (The Innocents, 2021, R: Eskil Vogt), der sich um eine Gruppe von Kindern mit außergewöhnlichen und zunehmend bedrohlichen Fähigkeiten dreht, bringt Grøvlen weitere Auszeichnungen wie den Sven Nykvist Award beim Göteborg International Film Festival 2022 ein. Darüber hinaus wirkt der Bildgestalter immer öfter bei US-amerikanischen Produktionen wie The Discovery (2017, R: Charlie McDowell) oder Shirley (2020, R: Josephine Decker) mit. Für sein aktuelles Projekt, das Kriegsdrama Krigsseileren (War Sailor, 2022, R: Gunnar Vikene), wird er von der American Society of Cinematographers mit dem ASC Spotlight Award geehrt. Die norwegische Oscar-Einreichung erscheint zunächst als Film, bevor sich der Streaminganbieter Netflix 2023 dazu entscheidet, Krigsseileren in erweiterter Form als Miniserie in sein Programm aufzunehmen.

2022 wird Sturla Brandth Grøvlen Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (AMPAS), wodurch der heute 43 -Jährige an der Vergabe der Academy Awards mitwirken darf. Zudem ist er Mitglied der Danish Association of Cinematographers (DFF).


2023

Krigsseileren (Miniserie) (War Sailor)
Regie: Gunnar Vikene

2022

Krigsseileren (War Sailor) 
Regie: Gunnar Vikene

Berdreymi (Beautiful Beings)
Regie: Guðmundur Arnar Guðmundsson

2021

De uskyldige (The Innocents)
Regie: Eskil Vogt

2020

Druk (Der Rausch) 
Regie: Thomas Vinterberg

Unwanted (Dokumentarfilm) (zus. mit Kim Bech, Nicholas Bluff & Lasse Ulvedal Tolbøll)
Regie: Esben Halfdan Blaakilde

Last and First Men 
Regie: Jóhann Jóhannsson

Wendy (Ein Leben zwischen den Zeiten) 
Regie: Benh Zeitlin

Shirley
Regie: Josephine Decker

2019

On the Inside of a Military Dictatorship (Dokumentarfilm)
Regie: Karen Stokkendal Poulsen

2018

Kina (Kurzfilm)
Regie: Tobias Gundorff Boesen

Før frosten (Before the Frost)
Regie: Michael Noer

2017

The Discovery
Regie: Charlie McDowell

2016

Pistol (Kurzfilm)
Regie: Andreas Thaulow

Red Hot Chili Peppers: Go Robot (Musikvideo)
Regie: Thoranna Sigurdardottir

Hjartasteinn (Herzstein) 
Regie: Guðmundur Arnar Guðmundsson

Shelley (zus. mit Nadim Carlsen)
Regie: Ali Abbasi

Trentemøller: Redefine (Musikvideo)
Regie: Åsa Riton & Andreas Emenius

2015

Home Sweet Home (Fernsehfilm) (zus. mit Katrine Philp, Talib Rasmussen & Niels Thastum)
Regie: Katrine Philp

Riders (Kurzfilm)
Regie: Jesper Vidkjær

Hrútar (Sture Böcke)
Regie: Grímur Hákonarson

Kunstnerens lærling (Fernsehserie) (zus. mit Maggie Olkuska)
Regie: Anders Morgenthaler

Victoria
Regie: Sebastian Schipper

2014

Ártún (Kurzfilm)
Regie: Guðmundur Arnar Guðmundsson

I Am Here/The 11th Hour (Um jeden Preis)
Regie: Anders Morgenthaler

Kødkataloget (Fernsehserie)
– sechs Episoden
Regie: Tea Lindeburg

Lubich & Davidsen (Kurzfilm) 
Regie: Sara Lubich

The Agreement (Dokumentarfilm) (zus. mit Marie Billegrav Bryant, Balthazar Hertel & Lars Skree)
Regie: Karen Stokkendal Poulsen

2013

Et dukkehjem (A Doll’s House) (Kurzfilm) (zus. mit Mads Hoppe & Tobias Nordenlund)
Regie: Tobias Gundorff Boesen

Arise (Videoarbeit zur Ausstellung „Rites of Passage“)
Regie: Sturla Brandth Grøvlen

Fall (Videoarbeit zur Ausstellung „Rites of Passage“)
Regie: Sturla Brandth Grøvlen

2012

Ung for evigt (Kurzfilm)
Regie: Ulaa Salim

Turbo (Kurzfilm)
Regie: Andreas Thaulow

Touch of Magic (Kurzfilm)
Regie: Tobias Gundorff Boesen

Sleep Party People: A Dark God Heart (Musikvideo)
Regie: Marie Limkilde

2011

Rebecca & Fiona: Dance (Musikvideo)
Regie: Lærke Herthoni Jensen

Før stormen (Before the Storm) (Kurzfilm)
Regie: Andreas Thaulow

M for Markus (Kurzfilm)
Regie: Ali Abbasi

Karim (Kurzfilm)
Regie: Ulaa Salim

Deleted Scene (From an Imaginary Film) (Kurzfilm) 
Regie: David Earle

Sturla Brandth Grøvlen erschien vor knapp zehn Jahren mit einem Paukenschlag auf der internationalen Filmbühne. Für seinen zweiten Spielfilm Victoria (2015, R: Sebastian Schipper), der in 140 Minuten ohne einen einzigen Schnitt die Geschichte eines gescheiterten Bankraubs erzählt, bekam der in Norwegen geborene Bildgestalter auf der Berlinale den Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung verliehen. Nach einer Reihe von Kurzfilmen im Rahmen seines Studiums an der Filmschule Kopenhagen hatte Grøvlen bei seinem Spielfilmdebut I am Here / The 11th Hour (Um jeden Preis, 2014, R: Anders Morgenthaler) den Schauspieler und Regisseur Sebastian Schipper kennengelernt, der ihm die Idee unterbreitete, Victoria in nur einer langen Einstellung zu drehen. Grøvlens künstlerische Neugier, seine Unerschrockenheit bei der Abweichung von etablierten Arbeitsabläufen und Techniken der Bildgestaltung und sein physischer Elan machten ihn zum idealen Kandidaten für die nicht nur technisch herausfordernde Umsetzung des Films. Die Bilder von Victoria sind neben ihrer technisch-performativen Qualitäten auch von Grøvlens Sensibilität für Atmosphäre, emotionale Erzählweisen und Dramaturgie geprägt.

Der dynamische, jugendliche Geist, der sich in der Ästhetik und den rebellisch-neugierigen Figuren von Victoria spiegelt, findet sich auch in vielen anderen der von Grøvlen fotografierten Filme wider. Oft bewegt sich seine Kamera mit Kindern und Jugendlichen auf Augenhöhe und dynamisiert das Geschehen, indem Bewegungen flexibel aufgegriffen, begleitet und fortgeführt werden. So übertragen sich das Rohe und Zornige der Charaktere, aber auch ihre Ängste und Nöte in eine vibrierende Visualität. Die Filme Hjartasteinn (Herzstein, 2016) und Berdreymi (Beautiful Beings, 2022, beide R: Guðmundur Arnar Guðmundsson) folgen dem Leben jugendlicher Isländer in ebenso fokussierter wie reduzierter Weise und widmen sich zugleich der kargen Landschaft, die sie umgibt. Grøvlens Bilder durchmessen Schicksale in einer topografisch zersplitterten Gesellschaft, die sich dennoch aus engsten sozialen Räumen zusammensetzt. Entsprechend changieren sie zwischen behutsamen Nahaufnahmen und nicht weniger nuanciert gestalteten Landschaftstotalen. Mit dem besonderen Gespür Grøvlens für die Natur geht eine Affinität zum skandinavischen Licht einher, das in den meisten seiner Filme extrem fahl und weich in Innenräume dringt und auf die menschliche Haut fällt. Dabei entstehen pastellfarbene, geradezu rosige Töne, die das Fragile der Schauspieler:innen ebenso behutsam unterstreicht wie ihre Schönheit.

Zu dem fahlen Nordlicht, wie es auch Hrútar (Sture Böcke, 2015, R: Grímur Hákonarson) eindrucksvoll in Szene setzt, gesellt sich in Grøvlens Arbeiten eine meist durch Gegenlichtaufnahmen akzentuierte, bild- und raumgreifende Dunkelheit, die ebenfalls Assoziationen zum Erleben der skandinavischen Natur evoziert. Durch hohe Kontraste und den Mut, Teile des Bildes stark unterzubelichten entstehen düstere Szenarien, durch das Abschatten von Figuren wird ihre düstere oder traurige Seite hervorgekehrt, was eindrucksvoll bei den Figuren in Druk (Der Rausch, 2020, R: Thomas Vinterberg) zu beobachten ist. Mitunter versinken die Figuren in Grøvlens Bildern nahezu vollständig in den kunstvoll arrangierten Grau- und Schwarzbereichen. Aufgebrochen wird diese Dunkelheit in fast jedem seiner Filme von einem leuchtenden roten Licht, das in seiner ausgestellten Künstlichkeit den Gegenpol zu der Gestaltung des fahlen Sonnenlichts bildet. Es geht entweder wie in Berdreymi (Beautiful Beings), Wendy (Ein Leben zwischen den Zeiten, 2020, R: Benh Zeitlin) und De uskyldige (The Innocents, 2021, R: Eskil Vogt) mit Träumen und Visionen einher oder verbindet sich in etwas zurückgenommener Form mit intensiver Zärtlichkeit und Nähe (Hjartasteinn / Herzstein und Shirley, 2020, R: Josephine Decker). Bereits in Victoria hat Grøvlen das Zwielicht der Nacht, hohe Farbkontraste und die bleierne Morgendämmerung kombiniert. Seitdem hat sich sein Umgang mit Licht anhand dieser drei Konstanten in unterschiedlichen Genres und Filmindustrien ausdifferenziert und verflochten.

Die von Grøvlen fotografierten Filme sind im ambitionierten Feld des europäischen Arthousekinos beheimatet, tauchen von dort aber in unterschiedliche Genres wie Thriller, Western, Kriegsfilm, Fantasy, Science-Fiction und Horror ein. So entwickelt sich Ali Abbasis Regiedebüt Shelley (2016) visuell vom Beziehungsdrama in Richtung Horrorfilm und inszeniert die Dunkelheit eines dänischen Waldhauses ohne Elektrizität. In De uskyldige (The Innocents) hingegen entsteht der Horror inmitten einer hellen, für Grøvlens skandinavischen Filme ausgesprochen unüblich sonnigen Atmosphäre und kontrastiert dadurch effektiv die schleichende Entwicklung der unheilvollen Ereignisse. Die anderen beiden lichtdurchfluteten Arbeiten Grøvlens sind die in Amerika entstandenen Filme Shirley und Wendy, mit denen er sich endgültig international als Bildgestalter etablieren konnte. Davor hatte er bereits mit einem Musikvideo für die Red Hot Chili Peppers (Go Robot, 2016, R: Thoranna Sigurdardottir) und der mit Robert Redford und Rooney Mara besetzten Netflixproduktion The Discovery (2017, R: Charlie McDowell) erste Schritte in den US-amerikanischen Markt unternommen. Zu seinen früheren Arbeiten zählen auch zwei Dokumentarfilme, einige Arbeiten für das skandinavische Fernsehen und eine Fülle an Kurzfilmen.

Für das bildgewaltige Kriegsepos Krigsseileren (War Sailor, 2022, R: Gunnar Vikene), das als norwegischer Beitrag für die Academy Awards eingereicht worden war, wurde Grøvlen für den goldenen Frosch auf dem Camerimage Festival nominiert und erhielt als besondere Anerkennung den Spotlight Award der American Society of Cinematographers. Diese Auszeichnungen krönen eine besonders produktive Schaffensphase, denn die Hälfte von Grøvlens insgesamt vierzehn abendfüllenden Spielfilmen ist erst innerhalb der letzten drei Jahre erschienen. Wir übergeben den Preis, der ja auch immer eine Chance darstellt, die eigene Arbeit in Filmsichtungen und Werkstattgesprächen zu reflektieren, an Grøvlen am Ende einer einjährigen Auszeit und hoffen, dass unsere Veranstaltung ihn bestärkt, seine Arbeit nach dem Sabbatical in der gleichen Konsequenz und Intensität fortzuführen. Der Preis honoriert die stilistische Bandbreite von Sturla Brandth Grøvlens bildgestalterischer Arbeit, ihre thematische Vielfalt, seine künstlerische Kontinuität und seine eindrucksvolle Schaffenskraft. Wir freuen uns auf viele weitere europäische und internationale Projekte, die von dem besonderen Mut zum kreativen Risiko und der eindrucksvollen Könnerschaft dieses außergewöhnlichen Bildgestalters geprägt sind.